New Work setzt Potenziale frei!

Sandra Senftleben ist mit Leidenschaft Personalerin und verantwortet beim Herner NWB Verlag die Organisationsentwicklung. Wir haben mit der 52-Jährigen darüber gesprochen, wie sich ein Betrieb aufstellen sollte, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Spoiler: Ein Obstkorb reicht nicht.


Innovation und Kollaboration, diese Begriffe fallen häufiger im Gespräch mit Sandra Senftleben. Neugierig auf Neues war sie schon ihr Leben lang. Wirtschaftliches Denken ist ihr seit ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau vertraut. Auf die Lehre sattelte sie ein Studium: Psychologie und Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Betriebspädagogik. „Ich fand immer schon Gruppen und ihre spezifische Dynamik sowie innerbetriebliches Lernen spannend. Auch mich selbst sehe ich als stets lernende Person“, erzählt sie. Dass sie das nicht nur so dahinsagt, zeigt ihre beachtliche Reihe von Fortbildungen u. a. zum systemischen Coach und zur integralen Organisationsberaterin.

Betriebspädagogik, das klingt ziemlich akademisch und nach Erziehung – kann man ein Unternehmen denn erziehen? „Nein“, lacht Sandra Senftleben, „natürlich nicht. Aber man kann förderliche Rahmenbedingungen schaffen, die zu Änderungen im Denken und Verhalten führen.“ Und genau darum geht es in ihrer Arbeit für NWB in Herne, einem Fachverlag für Wirtschafts- und Steuerrecht. Als sie vor sieben Jahren dort anfing, stieß sie bei der Unternehmensleitung auf offene Ohren: „Anders wäre es auch gar nicht möglich. Denn eine Unternehmensleitung muss sich bewusst dafür entscheiden, die Kultur positiv zu verändern.“

 

Schöner arbeiten

Ein wichtiges Schlagwort in diesem Zusammenhang ist New Work. Was verbirgt sich dahinter? Definiert wurde der Begriff bereits in den 1970er Jahren von dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Sandra Senftleben erklärt: „Damals war es der Entwurf einer Utopie, die inzwischen eine ganz andere Relevanz bekommen hat. Die Digitalisierung bringt eine ungeheure Dynamik mit sich, die Märkte verändern sich rasend schnell, die Kunden werden selbstbewusster. Hinzu kommt ein Generationenwechsel, der mit einem Wertewandel verbunden ist. Das alles stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Sie müssen neue Wege finden, Mitarbeitende zu gewinnen und an sich zu binden.“

Aha, und wie geht das? Mit Kicker und Obstkorb? Die Personalerin schüttelt amüsiert den Kopf. Auch Pauschalaussagen wie „Bei uns stehen die Mitarbeitenden im Mittelpunkt“ reichten nicht aus. Ein Universalrezept gebe es nicht, man müsse im Einzelfall genau schauen, was zum Unternehmen passt. „Es geht ja nicht darum, einfach sämtliche Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfüllen, sondern Ausgewogenheit zu finden: zwischen den Zielen des Unternehmens und dem, was die Mitarbeitenden einbringen können und wollen. Da gilt es einen gemeinsamen Weg zu finden.“ Dynamisches, agiles Denken sei in ihrem Job entscheidend, also zugleich mit der Organisation in Resonanz gehen und mitbekommen, was die Mitarbeitenden gerade bewegt und was sie brauchen – und zwar ohne die Unternehmensziele aus dem Blick zu verlieren.

Um diese neue Unternehmenskultur im NWB Verlag zu etablieren, bietet sie den Mitarbeitenden verschiedene Formate an. Sie reichen von Einzelgesprächen und -begleitungen über Teamcoachings bis zu Workshops. Die Kunst sei, so viele Mitarbeitende wie möglich „mitzunehmen“. Für einige bedeutet jede Veränderung erst einmal Stress. Sie eigene Komfortzone … aber andererseits, so Senftleben: „Alle Mitarbeitenden möchten mit ihren Bedürfnissen und ihren Fähigkeiten gesehen werden. Als sozialen Wesen ist es uns ein urmenschliches Bedürfnis, dass wir uns selbst als kompetent und wirksam erleben. Also muss ein Unternehmen gucken: Wo kann ich die Einzelnen so positionieren, dass sie das, was sie gut können, einbringen können.“

 

Frauen brauchen Flexibilität

Das betrifft auch das Thema Frauen in Führung: „Frauen brauchen häufig – Stichwort Vereinbarkeit – sehr viel Flexibilität. Da ist es als Unternehmen sinnvoll, sich im Denken freier zu machen und beispielsweise auch mal zu überlegen, ob Führung tatsächlich immer mit einer Vollzeitstelle verbunden sein muss.“ Sandra Senftleben hat in ihrem Berufsleben bereits häufiger sehr gute Erfahrungen mit Teilzeitführungskräften gemacht. „Konzepte wie Job Sharing, bei dem sich zwei Personen eine Führungsposition teilen und ihre unterschiedlichen Kompetenzen einbringen, können ganz wunderbar funktionieren!“, berichtet sie.

Chef:in sein sei also längst nicht mehr zwingend eine Vollzeitbeschäftigung. Bei New Work geht es vor allem auch darum, die Mitarbeitenden in Eigenverantwortung und Selbstführung zu empowern und herauszufiltern, was die Einzelnen brauchen, können und geben wollen. „Das ist in erster Linie eine Frage der Organisation und der Struktur. Es hat weniger mit Zeit zu tun, als vielmehr mit Flexibilität und Willen“, ist Sandra Senftleben überzeugt. Für die Personaler sieht sie momentan die große Chance, nicht nur Verwalter, sondern auch Gestalter zu werden. Ihrer Auffassung nach sollte der Personalbereich auf Geschäftsführungs- bzw. Vorstandsebene vertreten sein, um gemeinsam und interdisziplinär strategische Entscheidungen zur Personal- und Organisationsentwicklung zu treffen.

 

Appell an die Politik

Und was könnte auf politischer Ebene passieren, damit sich strukturell etwas ändert? Mit Grausen erinnert sich Sandra Senftleben an ein Foto, auf dem der frühere Innenminister Horst Seehofer seine acht neuen Staatssekretäre präsentierte – ausnahmslos Männer, und das ausgerechnet in dem Ministerium, das u. a. für mehr Gleichberechtigung im öffentlichen Dienst zuständig ist. Ihr Hauptkritikpunkt: „Das spiegelte einfach nicht unsere Gesellschaft wider. Aber nicht nur die Politik, auch die Unternehmen sollten schauen, dass sich auch in den Führungspositionen die Gesellschaft widerspiegelt. Dazu gehören Junge, Alte, verschiedene Kulturen, Menschen mit Behinderung und eben auch zu mindestens 50 Prozent Frauen.“ Quote? „Wenn wir’s freiwillig nicht hinkriegen, und danach sieht es ja teils aus, dann muss man darüber nachdenken.“

Auch für Berufsanfängerinnen und Frauen, die bereits im Unternehmenskontext arbeiten, hat sie einen Appell: „Die Zeit ist reif dafür, dass man gemeinsam Wege gestalten und gehen kann. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, da bieten sich für beide Seiten neue Möglichkeiten an. Also macht euch klar, was ihr eigentlich wollt und wohin eure berufliche Reise gehen soll. Werdet euch eurer eigenen Werte bewusst, seid mutig und macht euch stark für eure Bedürfnisse“.

Worte, die sie auch an sich selbst gerichtet und in Taten umgesetzt hat. So wagte sie im vergangenen Jahr den Schritt in die (Teil)selbständigkeit. Freiberuflich bietet sie Unternehmen und Einzelpersonen Workshops, Coachings und Beratung zur Potenzialentwicklung an. Ausschlaggebend für die Gründung war ihr Herzensthema Mentoring: „Das passt genau in diese Zeit. Es bedeutet, generationsübergreifend miteinander zu lernen und auf Augenhöhe in den fachlichen Austausch zu gehen. Nehmen wir zum Beispiel den Umstand, dass heute und in den nächsten zehn Jahren viele Menschen – und damit enorm viel Knowhow – in den Ruhestand gehen. Mentoring kann helfen, dieses wichtige Wissen im Unternehmen zu bewahren!“ Mit ihrem Angebot scheint Sandra Senftleben ins Schwarze getroffen zu haben, viele Unternehmen und Führungskräfte haben ihre Dienste bereits gebucht.

Interview und Text: Bettina Brakelmann

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