Mit Empathie und Ehrgeiz

Nicole Seifert-Schüler hat nicht nur ein, sondern gleich mehrere Handwerke von der Pike auf gelernt. Die 37-Jährige ist Tischlermeisterin, Bestattermeisterin und geprüfte Restauratorin. Gemeinsam mit ihrem Vater leitet sie – in mittlerweile 5. Generation – das Unternehmen Reininghaus-Seifert, das seit 1897 in Bochum-Stiepel als Tischlerei, Restaurationsbetrieb und Bestattungsinstitut seine Dienste anbietet. Wir sprachen mit ihr über Motivation und über Frauen in der Unternehmensnachfolge.


Dass Frauen durchaus in der Lage sind, Unternehmen zu führen, stand für Nicole Seifert-Schüler stets außer Frage. Schon ihre Großmutter hatte einst den Betrieb von ihren Eltern übernommen und ihn bis zu ihrem Tode mitgeführt.
Und so verkündete sie schon im Alter von 14 Jahren: „Ich übernehme mal den Laden von Papa.“ Dieser bremste sie zunächst schmunzelnd ab und riet ihr, sich das erst einmal in Ruhe zu überlegen. Aber vielleicht unterschätzte er dabei ein wenig den Ehrgeiz seiner Jüngsten – eine Eigenschaft, die sich wie ein roter Faden durch ihre Biografie zieht. Zwei Jahre später, mit dem Realschulabschluss in der Tasche, begann sie im Familienbetrieb eine Tischlerlehre. „Damals habe ich gesagt: Ich mach gerne die Tischlerei, aber lasst mich mit den Bestattungen bloß in Ruhe“, erzählt Nicole Seifert-Schüler und lacht, denn das genaue Gegenteil ist eingetreten. Eines Tages bat sie die Großmutter, die keinen Führerschein hatte, sie zu einem Trauergespräch zu fahren. Mit mulmigem Gefühl ging die junge Frau mit, und siehe da, schon nach kurzer Zeit merkte sie, dass der Umgang mit Trauernden ihr lag und sie es sogar schön fand, anderen zu helfen und in ihrem Leid beizustehen. Ein anderes Mal begleitete sie ihren Vater bei einer Exhumierung und der anschließenden Sargöffnung in der Gerichtsmedizin. Da war einerseits die Angst vor dem Anblick der Leiche, andererseits das Interesse daran, wie sich ein menschlicher Körper im Erdreich verändert. Schließlich siegte die Neugier und sie riskierte einen Blick: „Es war überhaupt nicht schlimm. Der Mann sah aus, als wenn er eben erst eingeschlafen wäre. Da habe ich gedacht: Okay, wenn das so ist, kann ich es schaffen.“

 

Die Familientradition fortführen

Damit stand der Weg frei für die Ausbildung zur Bestatterin, die sie in einem anderen Betrieb absolvierte. Und danach – apropos Ehrgeiz – setzte sie noch zwei Meistertitel und eine Ausbildung zur Restauratorin drauf, um auch wirklich jeden Geschäftsbereich des Familienunternehmens abzudecken. Warum das alles? Hätte sie sich nicht einfach ins gemachte Nest setzen können und auf Papas Kosten den ganzen Tag Kaffee trinken? „Niemals!“, sagt sie bestimmt. „Gerade weil mir diese Haltung schon in der Berufsschule manchmal entgegenschlug, habe ich ganz unten angefangen, war mir für nichts zu schade und habe mich langsam hochgearbeitet.“ Tatsächlich merkte sie schon während der ersten Ausbildung, dass sie – jung, blond, Chef-Tochter – nicht immer ernstgenommen wurde. „Seitdem wollte ich, dass alle sehen, dass mir nichts geschenkt wird, sondern dass ich hart arbeite. Für mich war es ein Ansporn, besonders gut zu sein. Außerdem war ich stolz auf unsere Familientradition und wollte sie fortführen.“

 

Unternehmensnachfolge mit Strategie

Als Nicole Seifert-Schüler nach der Bestatter-Ausbildung in den Familienbetrieb zurückkehrte, waren da nun insgesamt drei Generationen, die sich zusammenraufen mussten – und das auch wollten, was vermutlich die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen war. Klar war zu dem Zeitpunkt, dass das Unternehmen für die Zukunft neu aufgestellt werden musste. Die bisherige Form – Tischlerei, Gesprächsraum, Sargausstellung – würde zukünftigen Herausforderungen nicht mehr standhalten. „Wir haben gesehen: Wenn wir in die Zukunft denken, müssen wir uns moderneren Angeboten öffnen. Die Ansprüche der Kunden haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte geändert.“ Darum nahmen Vater und Tochter eine große und aufwändige Umbaumaßnahme in Angriff. Die Werkstatt wurde deutlich vergrößert, und für das Bestattungsinstitut kamen mehrere Verabschiedungsräume und eine kleine Trauerhalle hinzu. Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester durfte die Juniorin die Räume neu und persönlicher gestalten. In den folgenden Jahren bekam Nicole Seifert-Schüler peu à peu mehr Verantwortung, übernahm erst die Abteilung Bestattungen und leitet, wenn der Vater, der langsam ins Rentenalter kommt, im Urlaub ist, auch die Tischlerei. Auch die inzwischen verstorbene Großmutter war schließlich mit der neuen Arbeitsteilung und den Modernisierungsmaßnahmen einverstanden und sogar sehr stolz, dass mit ihrer Enkelin wieder eine Frau in die Führung rückte. Schließlich war sie selbst in ihrer Jugend weit und breit die erste Bestatterin und musste unter männlichen Kollegen bestehen. Diese Durchsetzungskraft hat sie offensichtlich an ihre Enkelin weitervererbt. Auch das strategische Denken scheint in der Familie zu liegen. Nicole Seifert-Schüler: „Die Schritt-für-Schritt-Übergabe wurde nicht dem Zufall überlassen, sondern war und ist ein ganz bewusster Prozess, in dem ich von meinem Vater, wie er sagen würde, immer ein Stück Kuchen mehr von der Torte bekomme.“

 

Klare Grenzen ziehen

Mittlerweile sind viele Frauen im Bestatterhandwerk tätig. Doch auch heute werden, so die Erfahrung der Junior-Chefin, Frauen teils noch belächelt und von Kunden nicht ernst genommen: „Wenn man da als „Blondinchen“ reinkommt, wird man erstmal abgestempelt. Wenn die Leute dann merken, was ich alles weiß und kann, kommt langsam die Anerkennung. Aber die muss man sich erarbeiten.“
Ehrgeiz ist eine Eigenschaft, die sie allen Frauen, die sich für eine Ausbildung und eine Karriere im Handwerk entscheiden, unbedingt empfiehlt. Nicole Seifert-Schülers Botschaft: „Ihr müsst es wirklich wollen, dann klappt das auch. Seid euch in der Ausbildung für nichts zu fein, aber lasst euch auch nichts gefallen. Zieht klare Grenzen!“
Speziell im Bestatterhandwerk ist eine weitere Eigenschaft unerlässlich: Empathie. „Das Herz muss dabei sein, sonst ist man im verkehrten Beruf. Denn unsere Arbeit kann sehr an die Substanz gehen, sowohl seelisch als auch von den Arbeitszeiten her, die naturgemäß kaum planbar sind. Und man darf nie – niemals! – den Respekt vor den Verstorbenen verlieren.“

Interview und Text: Bettina Brakelmann

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